Keimerfahrungen mit Jubaea chilensis
Vorgeschichte:
Im Frühjahr 1996 erhielt ich ziemlich überraschend durch eine glückliche Verbindung nach Chile eine große Tüte mit Coquitos, den Samen der Chilenischen Honigpalme. Da ich vorher noch nie versucht hatte, Palmensamen zum Keimen zu bringen, begann die hektische Suche nach Tipps und Tricks. Über einige Umwege entwickelte sich schließlich das Verfahren, das sich mir heute am einfachsten und erfolgreichsten darstellt. Im Folgenden möchte ich meine Erfahrungen kurz skizzieren:
Saatgut:
Die Samen der Chilenischen Honigpalme sind nur in Spezialgärtnereien erhältlich und nicht gerade billig. Bei mir haben sich die aus Chile direkt gekommenen als deutlich keimfreudiger und weniger anfällig als die in Norditalien selbst gesammelten erwiesen.
Haltbarkeit: Oft las oder hörte ich, dass die Samen von Jubaea nur sehr kurze Zeit keimfähig seien. Meine Erfahrungen
bestätigen dies nicht: auch nach mehr als zweijähriger Lagerung in einem kühlen Raum konnte kein signifikanter Verlust der Keimfähigkeit festgestellt werden.
Präparierung:
In manchen Publikationen wird empfohlen, die Samen anzufeilen oder die Schale ganz zu entfernen, um die Keimdauer zu verkürzen. Ich machte dazu den folgenden Versuch: 100 Samen wurden angefeilt, 100
geknackt und 100 nicht behandelt. Alle erhielten die selben Keimbedingungen.
Ergebnis: Bei den vollkommen der Schale beraubten Samen keimten die ersten zwar ca. 4 Wochen früher als in den Vergleichsgruppen, dafür aber deutlich
weniger; nur ganz wenige der Sämlinge überlebten im Gegensatz zu den beiden Vergleichsgruppen die ersten Monate. Zwischen den beiden anderen Gruppen waren keine signifikanten Unterschiede festzustellen.
Fazit: Das Aufknacken der Samen von Jubaea hat sich als eindeutig nachteilig erwiesen und beim Anfeilen stehen Aufwand und Ergebnis in keinem Verhältnis.
Wässerung: Alle Samen werden vor dem Aussäen 2 Tage in lauwarmem Wasser eingeweicht, wobei das Wasser einige Male gewechselt wird.
Keimtemperatur: In allen mir bekannt gewordenen Publikationen zum Thema wird eine hohe Keimtemperatur vorausgesetzt ( 28 – 32 °C ). Eine Palme, die
solche Temperaturen zum Keimen benötigt, schien mir für unser Klima ungeeignet. Deshalb versuchte ich hier den Härtetest: um schon eine gewisse Auslese zu erhalten, durfte die
Keimtemperatur 20 – 22 °C nicht überschreiten. Es zeigte sich, dass sich Jubaea bei diesen Temperaturen erfolgreich keimen läßt.
In-situ-Vermehrung:
Eine Steigerung des obigen Versuches stellt diese Methode dar. Schon von der ersten Sendung 1996 säte ich 30 Samen draußen im Boden aus, die gleich im folgenden Winter –20 °C und 16 Eistage, d. h. ca. 4 Wochen
durchgefrorenen Boden, überstehen mussten. Erstaunlicherweise keimten ca. 50% der Samen, manche noch nach 2 Jahren!!! Ich deute diese Ergebnisse als Zeichen,
dass bei der genetischen Vielfalt von Jubaea in puncto Winterhärte noch nicht alle Reserven ausgelotet sind.
Keimzeit: In Auswertung der obigen Erfahrungen kann ich sagen: die Keimzeit variiert zwischen 2 und 28 Monaten, wobei die überwiegende Zahl zwischen 5 und 9 Monaten keimt.
Keimerfolg: Die Keimrate bei Jubaea wird in der Literatur als äußerst gering bezeichnet (David Jones, Palmen, gibt sie z.
B. mit unter 10 % an). Meine Erfahrungen bestätigen dies nicht. In der o. a. Art der Vermehrung erzielte die kühle
Zimmervermehrung eine Erfolgsrate von 70 – 80 %, die In-Situ-Vermehrung immerhin noch 50%. Ich kann mir deshalb die diesbezüglichen Angaben in der Literatur nicht erklären.
Ãœberlebensrate:
Trotz ganz bewußten Verzichts auf alle chemischen Anzucht- und Überlebenshilfen betrug die Verlustrate bei den Sämlingen nur ca. 5%. Auch dies steht
im Widerspruch zu den Aussagen vieler Publikationen. Umso erstaunlicher, da ich die Sämlinge auch schon im Aufwuchsstadium realistischen Gartenbedingungen ausgesetzt
habe, d. h., dass alle Sämlinge bereits mehrfach Frost- und Dauerregenerfahrungen machten.
Noch erstaunlicher wird dies, wenn man die draußen gekeimten Sämlinge betrachtet. Sie erhalten im Winter überhaupt keinen Schutz und haben bisher erst einen Verlust zu beklagen.
Zusammenfassung: Nach 6 Jahren Keimversuchen mit Jubaea läßt sich sagen
1) Jubaea chilensis erweist sich bei der Keimung und der Sämlingsaufzucht als deutlich robuster, als nach den Literaturangaben zu vermuten war;
2) Die draußen gekeimten und vollkommen ohne Schutz aufwachsenden Sämlinge wirken deutlich härter als die im Topf gezogenen. Die Topfkultur beschleunigt allerdings das Wachstum etwas;
3) Die Keimung im Dunkeln hat sich bei mir nicht als vorteilhaft erwiesen (Vergeilung, höhere Anfälligkeit);
4) Die zu vermutende "genetische Vielfalt bei Jubaea" (ML) scheint sich zu bestätigen. In puncto Regenempfindlichkeit, Winterhärte und Wuchs gibt es sehr deutliche Unterschiede zwischen den Sämlingen, sodass mit
gezielter Auslese die Gartentauglichkeit der Palme noch zu steigern sein könnte. Bei der Wuchsgeschwindigkeit war dies am auffallendsten. Mein bester Sämling hat nach 6 Jahren bereits eine Höhe von knapp 1m erreicht mit
alles geteilten Blättern, während einige nur 3 Monate jüngere gerade das erste geteilte Blatt bekommen haben.
5) Mutationen sind bei Jubaea sehr selten. Von vielen 100 Sämlingen war nur ein einziger dabei mit weißer Streifung, den Jost Wallis sogleich auf den Namen
"Jubaea chilensis ‘Variegata‘" taufte. Auffallend ist noch, dass vereinzelt immer wieder Sämlinge mit einem
"Korkenzieherwuchs" keimten, die aber nie das 3-Blatt-Stadium erreichten. Ob dies eine Mutation oder eine Wuchsannomalie ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
Soweit meine Erfahrungen mit der Keimung von Jubaea. Ziel war es nie, einen möglichst schnellen Zuwachs zu erzielen, sondern unter realistischen Gartenbedingungen die Anpassungs- und Belastungsfähigkeit der
Palme bei uns zu testen und vielleicht auch schon eine gewisse Auslese zu erreichen. Dazu gehört auch der Aufwuchs der Sämlinge unter realistischen Gartenbedingungen. Insgesamt bin ich bisher sehr positiv
überrascht. Ich würde mich freuen, wenn mir andere Jubaeaenfreunde ihre Erfahrungen dazu mitteilen würden.
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